Blog Griechenland 18. Juli 2013

Die dunkle Seite des Meeres

S.O.S. Europa: Teilnehmerinnen und Teilnehmer des "Human Right Camps" auf Lesbos.

Vom 13. bis 20. Juli findet auf der griechischen Insel Lesbos das von Amnesty International organisierte "Human Rights Camp" statt. Aktivistinnen und Aktivisten aus 20 Ländern kommen dort zusammen, um auf die katastrophale Situation der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Eine der Aktivistinnen ist Nina Schneider aus Deutschland.

Nina Schneider (32) kam durch ein Praktikum im Generalsekretariat von Amnesty International 2004 zur Flüchtlingsarbeit und engagiert sich seitdem in verschiedenen Amnesty-Gruppen. Sie hat Jura und Menschenrechte studiert und ist als Fraktionsreferentin im Kieler Landtag unter anderem für Flüchtlingspolitik zuständig.

 

Ich bin erst seit vier Tagen im Camp - aber ich habe das Gefühl, als seien es Wochen gewesen. Das Camp vibriert förmlich vor Inspiration. Ich habe viele neue Leute kennengelernt, die mir ihre Geschichten erzählen und ihre Motivation und ihre Ideen mit mir teilen. Tausend Eindrücke; für das Reflektieren bleibt wenig Zeit. Aber wir merken bereits, wie sich unser Blick auf den schmalen Streifen Wasser, der zwischen der Insel und der Türkei liegt, verändert.

Das erste Event fand bereits gestern Abend statt: Eine Videoinstallation in Molivos über Mütter aus Tunesien, deren Söhne bei der Überfahrt über das Mittelmeer ertrunken sind.

Wir sprechen in Workshops über die Geschichte der Insel, die politische Situation in Griechenland, diskutieren über das Asylsystem in Griechenland und der Türkei und sprechen mit der Referentin für Syrien aus dem internationalen Amnesty-Sekretariat in London über die Situation in den Flüchtlingslagern vor Ort. Wir sprechen mit Ehrenamtlichen aus Lesbos, schauen uns Videos und Fotos zum Thema an.

Unter uns im Camp sind einige, die selbst geflohen sind aus Somalia, dem Jemen und dem Iran. Mittlerweile sind sie Aktivistinnen und Aktivisten.

Damals haben sie die gefährliche Reise über das Wasser nach Europa gewagt und sind unter den wenigen, die die Reise geschafft haben und als Flüchtlinge anerkannt wurden. Sie konnten ein neues Leben beginnen. Sie erzählen uns von ihren Erlebnissen. Sie erzählen uns davon, wie sich Grenzen in Europa unterscheiden, und wie sehr die Asylverfahren in Europa voneinander abweichen.

Sie erzählen uns, was es bedeutet, 2500 Dollar pro Person für die Überfahrt zu zahlen, und in einem kaum seetauglichen Boot mit Frauen und Kindern nachts nach Griechenland aufzubrechen. Auf ihrem weiteren Weg mussten sie sich tagelang im Wald verstecken, in Angst vor Wölfen und den Grenzsoldaten. Deren Schichtwechsel beobachteten sie so lange, bis sie wussten, wann sie die Grenze überqueren können.

Obwohl wir uns alle auch schon vor dem Camp im Camp viel mit dem Thema beschäftigt haben, sind wir tief berührt von ihren Geschichten. Die Offenheit, mit der sie ihre Erfahrungen teilen, und ihr Engagement, mit dem sie sich jetzt für Flüchtlinge einsetzen, sind beeindruckend.

Einer, der auf der anderen Seite war und mit den Flüchtlingen die Grenze mehrfach überquert hat, ist der griechische Fotograf Giorgos Moutafis, der unser Camp begleitet.

Seine Bilder sind mehr als eine Dokumentation der Flucht: Fotograf Giorgos Moutafis.

Das Camp ist totenstill, als er uns am zweiten Abend seine Bilder zeigt. Sie zeigen nicht nur eine Dokumentation der Flucht. Die Intensität und Tiefe der Bilder zeugen von Mitgefühl und schaffen es, die Emotionen der Flüchtlinge auf uns zu übertragen. Ein verlorener Pass am Strand, eine Leiche im Wasser, gekenterte Boote, bewaffnete Küstenpatrouillen, die ein Boot aufgreifen. Die Bilder sind verstörend.

Wir fragen ihn nach einem heiteren Bild. Das heiterste, das er uns zeigen kann, sind Flüchtlinge, die voller Freude das griechische Ufer erreichen. Wir müssen daran denken, was die Flüchtlinge im Asylverfahren in Griechenland erwartet - es bleibt wenig übrig von der Heiterkeit.

Wir geben trotzdem nicht auf und finden Inspiration in der Gemeinschaft vor Ort. Die Solidarität der Inselbewohnerinnen und - bewohner ist beeindruckend: Sie haben ein Netzwerk aufgebaut, das sich um die dringendsten Bedürfnisse der ankommenden Flüchtlinge kümmert. Ein orthodoxer Priester der Insel, Papa Stratis, verteilt Kleidung und leistet Beistand in Momenten der Verzweiflung, wenn sich herausstellt, dass die Flüchtlinge mitnichten das Paradies erreicht haben, das sie sich vor ihrer Überfahrt erträumt haben.

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"Dies sind Menschen in Not": Der orthodoxe Priester Papa Stratis unterstützt Flüchtlinge und Migranten auf der Insel Lesbos. (Video auf YouTube ansehen).

Ärztinnen und Ärzte aus Lesbos organisieren die nötigste medizinische Versorgung und kümmern sich um die seelische Not der Flüchtlinge. Für die Bewohnerinnen und Bewohner der Insel ist die Ankunft der Flüchtlinge fast zur Normalität geworden. Wie wir können sie nicht verstehen, dass Menschen, die Hilfe suchen, zurückgeschickt werden, unter Missachtung jeglicher rechtlichen und moralischen Verpflichtung.

Wir lernen, auf das Wetter und den Wind zu achten: In stürmischen Nächten ist das Übersetzen mit dem Boot, obwohl die türkische Küste so nah ist, besonders gefährlich. Wer es dennoch wagt, riskiert sein Leben in den Wellen. Der Blick der Bewohnerinnen und Bewohner und der Flüchtlinge auf das Meer färbt auf unseren ab. Das Meer bekommt eine dunkle Seite. In den Nächten fragen wir uns, ob Menschen wohl in diesem Moment versuchen, das Ufer Europas zu erreichen.

Wir sehen die Lichter der türkischen Küste vom Strand und fragen uns, was auf der anderen Seite oder auf dem Wasser vor sich geht. Wir wollen nicht länger hinnehmen, dass Menschen auf dem Mittelmeer ihr Leben riskieren auf der Suche nach Schutz und Hilfe.

Auch ihr könnt etwas unternehmen und euch für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen:

Beteiligt euch an der Online-Petition von Amnesty International und fordert ein Ende der illegalen Zurückweisungen und der willkürlichen Inhaftierung von Flüchtlingen in Griechenland! Hier geht es zur Petition - jetzt mitmachen: http://www.amnesty.de/stoppushbacks

 

Weitere Informationen zum Camp findet ihr auf der Kampagnen-Seite "When you don't exist".

 

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