Blog Deutschland 11. Dezember 2015

Neues Leben in Deutschland für schwules syrisches Paar

Neues Zuhause in Berlin: Jamal und Said im September 2015

Said und Jamal (Namen zum Schutz der Männer geändert) flohen aus Syrien, nachdem sie dort wegen ihres politischen Engagements gefoltert wurden. Nach ihrer Aufnahme in Berlin freuen sie sich auf ihr neues Leben.

"Wir waren so glücklich, dass wir Freudentränen vergossen", sagt Jamal über den Augenblick, in dem sein Partner Said und er erfuhren, dass sie als Resettlement-Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen würden.

"Es war ein Moment des Triumphs", so Jamal. "Wir waren regelrecht schockiert, so schnell akzeptiert worden zu sein, nach nur sechs Monaten."

Die beiden hatten Glück – viele andere Flüchtlinge, die die Voraussetzungen für eine Neuansiedlung im Rahmen von Resettlement-Programmen erfüllen, warten sehr viel länger auf den erlösenden Anruf, in dem ihnen mitgeteilt wird, dass sie an einem friedlichen und sicheren Ort aufgenommen werden.

"Die meisten Menschen in Syrien haben alles verloren: Freunde, Familie, Arbeit – ihr Leben." – Said

 

Neue Heimat Berlin

Said und Jamal sitzen inmitten von Kartons und Möbeln. Sie packen Dinge aus und richten ihr nagelneues Zuhause ein. Sie sind sichtbar glücklich und erleichtert – es ist schon eine Weile her, dass sie ein festes Zuhause hatten.

In Syrien arbeiteten beide Männer als Journalisten und waren politisch engagiert. Bis sie von den Sicherheitskräften festgenommen und gefoltert wurden und es für sie zu gefährlich wurde, länger im Land zu bleiben. 2014 flohen beide in den Libanon.

Doch Jamal ist HIV-positiv und erhielt dort nicht die nötige medizinische Behandlung. Im Januar 2015 dann kam durch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) das erlösende Angebot: Ihnen wurde im Rahmen des deutschen humanitären Aufnahmeprogramms für syrische Flüchtlinge ein Platz in Berlin angeboten.

Als Familie betrachtet

"Wir haben den Libanon am 8. Januar 2015 verlassen", erzählt Said. "Es war so kalt, als wir aus dem Flugzeug stiegen."

"Wir waren sehr gespannt, aber hatten gleichzeitig auch Angst", erinnert sich Jamal. "Wir wussten nicht, was uns erwartete. Wir rechneten mit allem."

Said und Jamal kamen zunächst in einem Übergangslager für Flüchtlinge unter. Nach zwölf Tagen wurden sie in ein Wohnheim verlegt, wo sie gemeinsam mit anderen Familien und jungen Leuten lebten. "Wir hatten unsere eigene Wohnung. Es war großes Glück, dass man uns als Familie einstufte und nicht als zwei alleinstehende Männer", so Jamal.

Nach neun Monaten entschlossen sie sich, umzuziehen, da sie sich im Wohnheim nicht mehr wohl fühlten. "Jemand aus meinem Deutschkurs wusste, dass ich schwul bin, und erzählte es unseren Nachbarn", berichtet Jamal.

Um eine eigene Wohnung zu bekommen, mussten die beiden gemeinsam mit ihrem Sozialarbeiter viele Vorstellungsgespräche bewältigen. Schließlich bekamen sie auch Hilfe von einer Organisation, die HIV-positive Menschen unterstützt.

"Manche Flüchtlinge verleugnen ihre sexuelle Orientierung und ihren HIV-Status, weil sie Angst haben." – Jamal

 

Ein neues Leben

Als das Paar in Deutschland ankam, befürchtete Jamal, ihm würden die  antiretroviralen Medikamente ausgehen, die er benötigt. Doch nun wird er ärztlich betreut und kann sich auf andere Dinge konzentrieren, z. B. darauf, Deutsch zu lernen. Said erklärt schmunzelnd, ganz neidisch auf die Fortschritte zu sein, die Jamal in dieser Hinsicht macht.

Beide absolvieren an fünf Tagen in der Woche einen Grundkurs Deutsch, den sie abschließen müssen, um Arbeit zu finden. Und sie sind online als Journalisten tätig – bisher unbezahlt.

Endlich wieder ein Sozialleben zu haben, ist für Said und Jamal nach vielen unsteten Jahren auf der Flucht eine wahre Erleichterung. "Das war eine der größten Herausforderungen", so Jamal. "Vertrauen aufzubauen dauert seine Zeit. Aber wir haben schon einige gute Freunde gefunden: aus Deutschland, Israel und Norwegen."

Und sie beide lieben Berlin, weil die Stadt so offen und unkompliziert für schwule Männer ist. "Es ist ganz anders als im Libanon oder in Syrien", sagt Jamal. "Im Libanon gibt es zwei Clubs für Schwule, doch schwul sein ist illegal."

"Vertrauen aufzubauen dauert seine Zeit. Aber wir haben schon einige gute Freunde gefunden." – Jamal

 

Selbst etwas bewegen

Im Moment konzentrieren sich die beiden ganz auf ihre Zukunft – z. B. darauf, ihr Studium wieder aufzunehmen. Said erklärt: "Ich würde hier auch gerne politisch aktiv werden. In Syrien waren wir sehr engagiert und auch an den Protesten beteiligt [Anfang 2011, als der Konflikt ausbrach]."

"Ich würde gerne andere Flüchtlinge unterstützen, die nach Berlin kommen", so Jamal. "Ich bin selbst ein Flüchtling und weiß, was sie benötigen. Es wäre toll, anderen so helfen zu können, wie auch mir geholfen wurde."

Said fügt hinzu: "Die meisten Flüchtlinge aus Syrien, die hier ankommen, sind wegen ihrer Erlebnisse traumatisiert. In ihren Augen haben sie alles verloren: Freunde, Familie, Arbeit – ihr Leben."

Jamal zufolge verleugnen manche Flüchtlinge aus Angst ihre sexuelle Orientierung und ihren HIV-Status. "Und wenn sie sich verstecken, dann bekommen sie keine Hilfe. Wir könnten für Menschen dolmetschen, die sensible Themen ansprechen müssen. Wenn ich mir vorstelle, ich würde mit niemandem über meine gesundheitlichen Probleme sprechen – das wäre eine Katastrophe."

Die Aufnahme in Deutschland hat Jamal und Said die Möglichkeit gegeben, das Leben wieder aufzubauen, das sie in Syrien zurücklassen mussten. "Wir wollen arbeiten, unabhängig sein, gute Anstellungen haben und einen Lohn erhalten", so Jamal und Said. "Das ist für uns normal."



Mehr als vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien wurden in nur fünf Ländern der Region vorübergehend aufgenommen. Amnesty International fordert bis Ende 2016 im Rahmen von Resettlement-Programmen die Neuansiedlung von 400.000 Flüchtlingen, die vom UNHCR als besonders schutzbedürftig eingestuft werden, in reichen Ländern. Die Möglichkeit einer Neuansiedlung im Rahmen von Resettlement-Programmen steht den schutzbedürftigsten Flüchtlingen der Welt offen, so z. B. Menschen mit schweren Erkrankungen. Amnesty geht davon aus, dass bis Ende 2017 etwa 1,45 Millionen Menschen weltweit diesen Schutz in Anspruch nehmen müssen.

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